Mittwoch, 18. April 2018

Kritik: NDR-Dokumentation "Eskimo Limon. Eis am Stiel. Von Siegern und Verlierern"

Kritik: NDR-Dokumentation 

"Eskimo Limon. Eis am Stiel. Von Siegern und Verlierern"

von Martin Hentschel*


"Eine große Leere"


Am Anfang des Films sehen wir einen fülligen Herrn, der in einer kleinen Garderobe sitzt und seine Haare zu einer Elvis-Tolle frisiert bekommt. Es ist Zachi Noy, Star der erfolgreichen Filmserie EIS AM STIEL (1978-1988), der sich für einen Gesangsauftritt in einer kleinen Diskothek in Essen vorbereitet. Er scheint kraftlos, gebrochen und melancholisch. Danach erfolgt ein Umschnitt auf seine Schauspiel-Kollegin Sibylle Rauch, diese befindet sich in einem spärlichen Wiener Hotelzimmer, schnürt sich in ein Leder-Korsett, schaut aus dem Fenster und wartet auf Freier. Damit beginnt die Dokumentation „Eskimo Limon – Von Siegern und Verlierern“. Der Zuschauer bekommt die Botschaft somit bereits in den ersten Sekunden mit dem Knüppel eingehämmert: Die Filmreihe „Eis am Stiel“ hat den (beteiligten) Menschen nichts als Unglück und Kummer gebracht. Es wird dazu ein Statement des EIS AM STIEL-Erfinders und Regisseurs der ersten 4 Teile – Boaz Davidson – reingeschnitten, der die „Überlebenden“ der Filmreihe mit denen der Schiffskatastrophe Titanic vergleicht: „Sie sind alle Überlebende dieser schrecklichen Sache – sie alle sind Überlebende von EIS AM STIEL“. Es folgt ein entwürdigender Auftritt Zachi Noys in einer Diskothek, umrahmt von brasilianischen Bikinimädchen. Dazu gibt es Interview-Fetzen des Schauspielers, der zugibt: „In mir gibt es eine große Leere.“ Genau das Gleiche dachte ich mir als Zuschauer in diesem Moment auch. Szenenwechsel nach Israel: Hier sehen wir einen ergrauten Yiftach Katzur („Benny“ aus EIS AM STIEL) – bei der Besichtigung eines Original-Drehorts. Er berichtet über seine Anfänge als Schauspieler: „Noch nie zuvor war ich an einem Filmset gewesen. Noch nie zuvor habe ich vor einer Kamera gestanden.“. Hat er seinen ersten Filmauftritt im umstrittenen Polit-Thriller „The Honey Connection“ (1977, Yeud Levanon) etwa vergessen? Zurück bei Regisseur Davidson: Dieser berichtet, dass EIS AM STIEL die Therapie seiner eigenen unglücklichen Liebesgeschichte in der Jugend war. Der Schnitt suggeriert hier zum ersten Mal, dass Davidson mit dem Film egoistisch gehandelt hätte. Ein Versuch, der später noch auf die Spitze getrieben werden sollte. Zunächst fokussiert sich die Doku auf den damaligen Überraschungserfolg EIS AM STIEL und der Teilnahme bei den Berliner Filmfestspielen. Dazu hat man die deutsche Produzentin Regina Ziegler, die sich 1978 im Auswahlgremium der „Berlinale“ befand, zu Wort kommen lassen. Etwas verlegen erklärt sie, dass die Entscheidung für einen Wettbewerbseinsatz damals heiß diskutiert wurde, das Publikum den Film jedoch positiv aufnahm. Ein weiteres Mitglied des Gremiums stimmt ihr zu: „Ich glaube, dass es im Nachhinein eine gute Entscheidung war.“ Und ergänzt „es war ja schließlich der Publikumsliebling“. Mir stellt sich hier sofort die Frage, weshalb Menschen sich 40 Jahre später überhaupt rechtfertigen müssen, einen Film der von Kritikern und Publikum gleichauf gefeiert wurde, zu einem Filmfestival zugelassen zu haben. Die Doku verkauft die Berlinale-Teilnahme als besonders absurd und irreal, was weder dem Festival, noch dem Film gerecht wird. Zachi Noy erzählte nun von der „3000 Zuschauer“-starken Vorführung im Berliner Zoo-Palast: „Ich hatte noch nie zuvor vor so viel Publikum auf der Bühne gestanden“. Problem ist hierbei erstens, dass der Saal nur knapp 1000 Personen fasste und zweitens, dass Zachi Noy während seiner Bühnenauftritte Mitte der Siebziger ebenfalls öfter vor großem Publikum aufgetreten ist. Siehe dazu: https://www.youtube.com/watch?v=GSsqFrsUI38

Nacktszenen mit (8) Folgen


Michael Weinert vom ‘78er-Auswahlgremium der Berlinale setzt derweil seinen selbstanklagenden Monolog fort: „Oh mein Gott, da bist du mitverantwortlich, dass so ein Film [..] so einem Kommerz-Mist die Tür geöffnet hat“. Die Fortsetzungen seien „Rummelplatzfilme“, die es ohne den Berlinale-Einsatz womöglich nie gegeben hätte. Produzent Yoram Globus ergänzt: „Die Fortsetzungen 2-7 seien Stiefkinder“ des Kultfilms. Teil 8 („Summertime Blues“) wird von Herrn Globus hierbei einfach unter den Teppich gekehrt. Zur Info: Golan und Globus, damals schon kurz vor der beruflichen Trennung, hatten ihren Namen damals von der Produktion zurückgezogen und dem Film eine Auswertung in Israel verweigert. Wie auch immer: Eli Tavor, Drehbuchautor der israelischen Erfolgsreihe, die ab Teil 2 eine deutsche Ko-Produktion war, erklärt nun bezüglich der Fortsetzungen: „In Israel gab es nach dem ersten Film nur noch wenige Schauspielerinnen, die bereit waren sich auszuziehen und offenherzige Nacktszenen zu drehen. Also mussten die Produzenten für die Fortsetzungen deutsche Schauspielerinnen für solche Rollen engagieren.“. Danach springt die Doku direkt zum dritten Teil und zu Sibylle Rauch. Die Wahrheit ist jedoch eine andere: In Teil 2 gab es eine gewagte Nacktszene mit der Hauptdarstellerin Yvonne Michaelis. In ihrem Vertrag stand geschrieben, dass sie unbekleidet nur aus bestimmten Kameraperspektiven gezeigt werden durfte. Aus Publicity-Gründen pfiffen die Produzenten auf den Vertrag und Frau Michaelis traute bei der Premiere des Films kaum ihren Augen: sie wurde in besagter Szene fast eine halbe Minute in kompletter Nacktheit gezeigt. Per einstweiliger Verfügung mussten die besagten Filmmeter entfernt und vernichtet werden. Begleitet wurde dieser Rummel mit Gerichtsprozessen, landesweiten Presseberichten und gipfelte fast im Selbstmord der Hauptdarstellerin. Diese Geschichte wird in Eric Friedlers Doku einfach ignoriert und unter den Teppich gekehrt. Dabei hätte sie doch so gut zur Agenda dieses Films gepasst. Hier verspielt die Dokumentation jedoch alle Chancen. Stattessen folgt die schon hundertmal erzählte Geschichte von Sibylle Rauch. Boaz Davidson über das Talent der Münchnerin: „Schauspielern? Vergiss es! Sie konnte nicht Spielen.“ 

Jonathan Sagall


Nun folgt ein Segment über Schauspieler Jonathan Sagall, der die Rolle des Frauenschwarms Momo in der Filmreihe verkörperte. Leider hat man es nicht geschafft Sagall für diese Dokumentation zu gewinnen. Stattdessen sprechen Set-Mitarbeiter wie Kostümbildnerin und Cutter über Ihn. Dabei wird ausschließlich die Homosexualität des Schauspielers thematisiert. „Es ist schade, dass er überhaupt nicht mehr über „Eis am Stiel“ sprechen will“ wird da gesagt. Wieder eine falsche Behauptung, die der Film stehen lässt und als Wahrheit verkauft. In Wirklichkeit spricht Jonathan ganz offen und sehr oft über „Eis am Stiel“. Zuletzt im Februar 2018 in einer israelischen TV-Doku auf „10TV“ oder kürzlich zusammen mit seinen beiden Kollegen Katzur und Noy im TV-Studio einer israelischen Talkshow. Auch in meinem Buch „Zitroneneis, Sex & Rock’n Roll“ spricht Sagall im Interview mit Filmjournalist Uwe Huber ausführlich über Erlebnisse, Gefühle, „Eis am Stiel“ und sein künstlerisches Schaffen. Etwa wie er das Casting für eine der Hauptrollen in Steven Spielbergs Holocaust-Drama „Schindler’s Liste“ (7 Oscars) für sich entschied. Solche Infos, die ein Eingeständnis des Erfolges Sagalls nach „Eis am Stiel“ mitgebracht hätten, werden in Friedlers Doku einfach verschwiegen. Stattdessen fallen Sätze wie „Und dann drehten wir auch noch die Szene, in der die Jungs messen, wer den längsten Penis hat. Hätten die Anderen so unbekümmert agiert, wenn sie gewusst hätten, dass er schwul ist?“. Durch die Montage solcher Aussagen wird suggeriert, dass Sagall nicht mehr über „Eis am Stiel“ reden will und sich quasi öffentlich komplett zurückgezogen hat, weil er homosexuell ist. Dazu wird auch bewusst zurückgehalten, dass die meisten „Eis am Stiel“-Filme nach Jonathans Outing im Jahre 1982 entstanden sind. Daraufhin sitzen Katzur und Noy zusammen in einem Klassenzimmer und erinnern sich an die Szene mit einer Prostituierten in Teil 1. Im Film fangen sich die jungen Männer bei der Hure Filzläuse ein. Katzur: „Ich erinnere mich an die peinliche Szene in der Schultoilette, als wir unsere Hosen herunterließen. Und…wer hat sich das nochmal angesehen? Hast du geschaut, Zachi? Oder war ich es? Keine Ahnung, aber irgendjemand hat sich das doch dann ganz aus der Nähe angeschaut.“ Dann folgt der Ausschnitt, in dem man sieht, dass es Sagall ist, der den Intimbereich seiner beiden Kumpels aus der Nähe begutachtet. Erstens kann ich mir nicht vorstellen, dass Katzur nicht wusste, wer von den anderen beiden nun in der besagten Szene vor Ihm hockte (er selbst kann es schlecht gewesen sein) und zweitens ist das Thematisieren und Zeigen dieser Szene im Kontext mit den zuvor in der Doku über Sagalls sexueller Orientierung geäußerten Aussagen schlicht und einfach unseriös.

"Geld, Geld, Geld"


Nun folgt ein längeres dennoch oberflächliches Segment über die „Eis am Stiel“-Produzenten Menahem Golan und Yoram Globus („Cannon Films“). Dafür schneidet die Doku ständig widersprüchliche Aussagen gegeneinander. Kamermann Adam Greenberg erklärt, wie sehr er Golan und Globus nicht leiden kann und dass beide damals pleite waren und auf den Erfolg vom ersten „Eis am Stiel“ angewiesen waren. Globus verneint das zurecht. Golan über den Erfolg von Teil 1: „Der Film machte Millionen“. Dazu Zachi Noy: „Unsere Gesichter kamen danach in Deutschland auf alle Merchandising-Artikel. Auf jede DVD, auf jedes Poster, auf Alles. Wir bekommen davon nichts ab. Bis heute gehen wir völlig leer aus.“ Seit wann bekommen Schauspieler zusätzlich Geld, wenn ihr Foto auf dem Filmplakat bzw. einer DVD-Hülle abgebildet ist? Man sollte Herrn Noy mal die Definition von Merchandising erklären. Und überhaupt: Solche Dinge werden in den Verträgen geregelt. Er hatte doch in 10 Jahren und 9 Filmen (zählt man „Hasenjagd 2“ dazu) ständig die Gelegenheit dazu. Katzur: „Geld, Geld, Geld, sie machten so viel Geld. Und wir?“. Dazu werden Golan und Globus in Archivaufnahmen lachend eingeblendet, musikalisch unterlegt mit einem jüdischen Klezmer (!). An dieser Stelle empfehle ich die Dokumentarfilme „Electric Boogaloo – Die unglaublich wilde Geschichte der verrücktesten Filmfirma der Welt“ (2014) und „The Go-Go Boys: The Inside Story of Cannon Films“ (2014), die das Thema ausführlich und unbefangen behandeln. Globus: „Ich denke nicht, dass die Darsteller zu kurz gekommen sind.“ Korrekt, immerhin drehten die Schauspieler bis 1988 noch 7 weitere Teile. In Interviews erklärten Katzur und Sagall über die Jahre immer wieder, dass sie gutes Geld verdienten und sich die Gage quasi mit jedem Film erhöhte. Zachi Noy hätte ohne Golan und Globus niemals die Bekanntheit erlangt, die er heute hat. Dank Ihnen spielte Zachi an der Seite von Shelly Winters („Der Magier“, 1979), Franco Nero („Ninja, die Killermaschine“) und Rock Hudson („Der Ambassador“, 1984). Jeden Cent, den er heute durch Auftritte in Trash-TV-Formaten sowie in Diskotheken und auf Parkplätzen als Stimmungssänger einnimmt, verdankt er „Eis am Stiel“ und seinem Image als „dicker Johnny“. Zachi: „An manchen Tagen bin ich sehr deprimiert […] trotzdem kann ich mich nicht davon lösen und Auftritte als dicker Johnny in kleinen schäbigen Clubs vor 100 Leuten ablehnen“. Er spricht von „Falle“ und „Teufelskreis“ und wie schwer er es doch hat. „Ich habe das Gefühl wir wurden reingelegt“. Der Kontext „ich wurde reingelegt“ taucht regelmäßig in Äußerungen Noys auch außerhalb der Doku auf. Egal ob nach „Das Supertalent“, bei dem sich Zachi als Sänger in Lederhosen blamierte und ausgebuht wurde oder „Promi Big Brother“, als Zachi als eine der ersten Personen das Haus verlassen musste, nachdem er u.a. in die Dusche pinkelte und seinen Urin mit dem Handtuch einer Mitbewohnerin wegwischte und in der Gunst der Zuschauer fiel, waren immer andere – z.B. die Sender – Schuld. Gepaart mit den Aussagen wie hart es doch war, immer der Prügelknabe der Filmcrew gewesen zu sein und ständig nackt vor der Kamera agieren zu müssen, ergibt es widersprüchliches Bild. Man kann nicht in die Köpfe der Menschen schauen, aber objektiv betrachtet war und ist doch alles freier Wille. Der gute Mann war bei dem ersten Teil immerhin schon Mitte 20, also nicht mehr ganz so naiv und jugendlich. Und er zeigte bis zu Teil 7 (1987!) seinen nackten Hintern (Stichwort: Kaktus) in den „Eis am Stiel“-Filmen. Erst in Teil 8 (1988) konnte er sich durchsetzen, seine Klamotten anzulassen. Jeder ist für sich und seine Entscheidungen selbst verantwortlich. In der Doku erzählt die Kostümfrau: „Zachi wurde regelrecht gefoltert, Boaz konnte alles mit ihm machen und das tat er auch“. Man versucht nun durch Filmausschnitte den Umstand, dass die Rolle „Johnny“ Prügel bezieht, dieses auch auf den Schauspieler Zachi Noy zu übertragen. Der schwer-gewichtige Mime: „Der Produktionsleiter sollte mir vor der Szene eine Ohrfeige geben […] ich fühlte mich so erniedrigt […] ich habe wirklich geweint.“ Gegenaussagen von anderen Beteiligten wie Regisseur Davidson liefert die Doku für diese Anschuldigung nicht. Dafür werden anklagende Zitate aus dem Kontext präsentiert: So sagt Katzur: „Ich fühlte mich unwohl mit den Botschaften dieser Filme. Ich habe mich geschämt“. Regisseur Davidson erklärt: „Es fühlt sich fast so an als ob sie mir vorwerfen, sie benutzt zu haben […] sie allein gelassen hätte. Ich fühlte mich manchmal schuldig…“

"Wie für einen Porno"


Dann präsentiert man ein Segment über die Schauspielerin Ophelia Shtruhl, die in Teil 1 - sehr freizügig - die Nymphomanin Stella spielt. Dazu abermals die Kostümfrau – anscheinend der „Kronzeuge“ dieses Dokumentarfilms – Tami Mor: „Sie hatten Sex, wie für einen Porno.“ Genüsslich zeigt die Doku nun die Szene des Films, in der man auch Zachi Noys erigiertes Glied sieht. Dennoch darf stark bezweifelt werden, dass Noy und Shtruhl in der Szene echten Sex hatten. Mor: „Sie drehten diese Szene immer und immer wieder, warum so oft?“. Beim Zuschauer entsteht dabei der Eindruck, dass die Schauspielerin für diesen Film sexuell ausgebeutet wurde. In seiner Eitelkeit beklagt Zachi Noy hingegen, dass man ihn in der besagten Bettszene von oben aufnahm und sein dicker Hintern dadurch groß zu sehen war: „…es war erniedrigend […] schrecklich“. Nun kommt Shtruhl zu Wort: „Ich bin eine seriöse Schauspielerin. Ich hatte eine Karriere, doch dieser Film hat sie getötet.“ Die Wahrheit ist: vor „Eis am Stiel“ drehte Shtruhl ganze zwei Filme. Einer davon, „The Angel Was a Devil“ (1976) gilt als „der schlechteste israelische Film aller Zeiten“. Nach „Eis am Stiel“ drehte Shtruhl viele Filme, von Karrieretot kann also keine Rede sein. Und genau hier ist das Kernproblem dieses Dokumentarfilms: es wird dem Zuschauer durch Übertreibungen und Unwahrheiten suggeriert, dass nahezu alle Beteiligten von „Eis am Stiel“ Unglück erfahren haben. Viele Biografien beteiligter Personen vor und hinter der Kamera verliefen jedoch überaus positiv. Die deutschen Hauptdarstellerinnen Sissi Liebold (Eis am Stiel 7 + 8) und Stefanie Petsch (Eis am Stiel 5) arbeiten heute beispielsweise erfolgreich als Management-Coaches, Schauspielerin Petra Morzé (Hauptdarstellerin in Eis am Stiel 6) ist heute Ensemblemitglied am Wiener Burgtheater, Kameramann Adam Greenberg wurde für „Terminator 2“ mit dem „Oscar“ nominiert, Hauptdarsteller Jonathan Sagall spielte eine Hauptrolle in Steven Spielbergs „Schindlers Liste“ und wurde als Regisseur mit seinem Film „Lipstikka“ 2011 zur Berlinale eingeladen, Regisseur Boaz Davidson und Ko-Produzent Danny Dimbort gingen nach Hollywood und sind bis heute mit Filmen wie „The Expendables“, „Rambo“ oder „Olympus Has Fallen“ erfolgreich. Doch lieber zeigt man Statements wie von Frau Shtruhl, die da sagt: „Was ich alles wegen dieses Films durchmachen musste…“. Tami Mor ergänzt: „Sie war eine dieser Schauspielerinnen, die in Israel jeder kannte. Danach war es vorbei […] niemand wollte sie mehr besetzen.“ Diese Aussage ist ebenfalls komplett falsch. Neben ihren Filmen wie „Der Magier“ (1979), „Die Beute des Geiers“ (1981) oder „Crazy Weekend“ (1986) war Shtruhl von 1983 bis 1990 in zahlreichen Soloprogrammen auf der Theaterbühne zu sehen, darunter "Paradies", "Hinter verschlossenen Türen" oder "Jedermann". Ende der 80er stagnierte ihre Karriere etwas, was jedoch am Alter liegen dürfte (Shtruhl ist Jahrgang 1940). Es ist ja leider keine Seltenheit, dass eine Schauspielerin ab 50 nicht mehr so häufig gebucht wird. Das ist jedoch ein Problem der Branche und der Gesellschaft. „Eis am Stiel“ dafür die Schuld zu geben, ist nicht nur abenteuerlich, sondern auch sehr ungerecht. Boaz Davidson entschuldigt sich dennoch: „Es tut mir leid, dass ihr Leben aufgrund des Films so schwierig wurde […] ich weiß nicht wie man das wiedergutmachen könnte“.

"Ich schäme mich!"


Als eine Art „gerechte Strafe“ für die „Qualen der Schauspieler“ verkauft die Doku nun den Streit der Produzenten Golan und Globus. Nach dem Motto: „Ohne den Film wären beide nicht nach Hollywood gekommen“ zelebriert man nun den Untergang der „Cannon Films“. Beide Cousins trennten sich Ende der 80er, Globus führte „Cannon“ noch bis 1994 weiter, Golan gründete die „21st Century“ die schnell bankrott ging. Yoram Globus: „In 6 Monaten verlor Menahem 75 Millionen Dollar“. Tami Mor, die durch „Cannon Films“ übrigens große Produktionen wie „Delta Force“ oder „Missing in Action“ ausstatten durfte, dazu: „Am Ende verloren sie alles, weil Menahem Golan der König der Welt werden wollte.“ Nachdem das Denkmal „Cannon Films“ kaputtgeschlagen wurde, geht es wieder um „Eis am Stiel“. Yiftach Katzur: „Der Film ist sexistisch“. Um diesen Punkt zum Ende der Doku noch einmal zu untermauern präsentiert man eine Anekdote aus Teil 3. Darin gibt es eine Szene, in der die drei Jungs durch das Loch einer Mädchenumkleide spannen. So weit, so unspektakulär. Zu diesem Zweck hatte man Mädchen engagiert, die sich angeblich jedoch zunächst sträubten, ihr Oberteil auszuziehen. Kostümfrau Mor: „Ich überzeugte sie […] sie ahnten nicht, dass das ganze Land sie so sehen würde.“ Die Doku zeigt nun die besagte Szene, die eher infantil wirkt, unterlegt sie jedoch mit diabolischer Musik. Mor: „Wie komme ich dazu, sie zu überzeugen, sich vor aller Welt auszuziehen? Dafür schäme ich mich!“. Noch grenzwertiger als die Unglaubwürdigkeit, dass zu der Dreh-Zeit von „Eis am Stiel 3“ niemand von den Beteiligten (einschließlich der Statisten) gewusst haben solle, dass das „ganze Land“ sie sehen würde, halte ich den Punkt, dass hier versucht wird, die Dreharbeiten dieser harmlosen Szene derart zu diabolisieren. Der Film endet mit einer Bootsfahrt zwischen Zachi Noy, Yiftach Katzur und Anat Atzmon, unterlegt von emotionaler Klaviermusik und anklagenden Statements. Katzur: „Die Filme waren […] eine Demütigung der Frauen […] Ich fühle mich verantwortlich […] Ich war Teil dieser Sache.“ Davidson: „Ich fühle mich nicht gut damit […] muss damit leben“ und „dass so viele sich als Opfer fühlen, tut mir sehr sehr leid…“.

Fazit: Eine moralisch-verlogene Dokumentation, die trotz Unwahrheiten und verschenkten Möglichkeiten handwerklich zwar gelungen ist, jedoch inhaltlich ihren Auftrag zu keinem Zeitpunkt verbergen kann und sich in Wiederholungen und Ungenauigkeiten verliert.






Martin Hentschel ist Autor des Buches "Zitroneneis, Sex & Rock'n Roll - 
Die deutsch-israelische Filmreihe "Eis am Stiel" (1978-1988)"


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